„Wir müssen auf der Straße sein!“

5. Mai 2021

Nach der kurzfristigen Absage der traditionellen 1. Mai-Kundgebung in Wolfsburg durch DGB und IGM bildete sich spontan ein 1. Mai-Bündnis von Jugendgruppen und weiteren Organisationen, unter ihnen auch die VVN-BdA Wolfsburg.

Aufgerufen wurde dazu, sich unter Einhaltung der Corona-Auflagen um 10 Uhr vor dem Rathaus zu treffen, „damit die berechtigten Forderungen der arbeitenden Menschen nicht ausschließlich im Internet vorgebracht werden“, so Mechthild Hartung von der VVN-BdA Wolfsburg.

Gerd Bruder auf der Mai-Kundgebung. Foto: M. Hartung

Rund 40 Teilnehmer*innen waren dem Aufruf mit Abstand und Maske gefolgt. Die Redner*innen forderten, gemeinsam zu verhindern, dass die Kosten der Coronakrise auf die unteren Einkommensschichten abgewälzt werden. Stattdessen müssten dazu die großen Konzerne und die Reichen herangezogen werden. Eine Vertreterin der SJD-Die Falken stellte die Situation von Menschen mit Einschränkungen, die zum Teil nur 3,80 € pro Stunde verdienen, in den Mittelpunkt ihrer Rede.

Besonders erfreulich war der Redebeitrag des ehemaligen DGB-Vorsitzenden von Wolfsburg, Gerd Bruder. „Schön, dass Ihr hier seid! Dies ist meine 69ste 1. Mai Kundgebung, auf der ich bin. Das lasse ich mir nicht nehmen. Das erste Mal war ich als 15-Jähriger mit meinem Vater im Ruhrpott dabei. Von den Reden habe ich nicht viel verstanden, aber das Gefühl unserer Stärke hat mich beeindruckt und geprägt. Deswegen: Wir müssen auf der Straße sein!“, so der Gewerkschafter.

Die Teilnehmenden verabschiedeten eine Solidaritätserklärung an die Kolleg*innen in Ostdeutschland, die endlich eine Durchsetzung der 35-Stunden Woche erreichen wollen. Die Soli-Erklärung und die Rede von Mechthild Hartung, VVN-BdA Wolfsburg, können unten nachgelesen werden.

Foto: M. Hartung

Rede von Mechthild Hartung, VVN-BdA Wolfsburg

Liebe Kolleginnen und Kollegen

ich grüße Euch heute, am Internationalen Kampftag der Gewerkschaften, als Vertreterin der Wolfsburger VVN-BdA. Wir sind zwar kein sozialpolitischer Verband, aber fühlen uns den Arbeiterorganisationen verbunden.

Wir haben nicht vergessen, dass die Arbeiterbewegung mit ihren Parteien, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Organisationen eine zentrale Kraft im Kampf gegen den Faschismus war. Es gibt zahllose Beispiele für Frauen und Männer in den Gewerkschaften, die im Widerstand waren und deshalb auch als erste in die wilden KZs verschleppt wurden, wie die Kommunisten. So waren die ersten Opfer in unserer Region 11 Gewerkschafter, die am 4.Juli 1933 in Rieseberg erschossen und verscharrt wurden.

Gewerkschafter waren in vielen Ländern die ersten, die aktiv im bewaffneten Kampf gegen den Faschismus für die Befreiung ihres Landes von der faschistischen Okkupation eingetreten sind.

So hat z.B. die Internationale Transportarbeiterföderation mit ihren Möglichkeiten Menschen vor der faschistischen Verfolgung gerettet und gleichzeitig illegale Schriften in die vom Faschismus okkupierten Gebiete geschmuggelt.

Und es war Ausdruck der großen Niederlage der deutschen Gewerkschaftsbewegung, dass sie sich 1933 in das faschistische Konzept des „Tags der nationalen Arbeit“ einbinden ließ. Am nächsten Tag besetzten die faschistischen Horden die Gewerkschaftshäuser und die Organisation wurde aufgelöst. Um so weniger ist es zu verstehen, dass die Gewerkschaftsspitze – in Absprache mit Mohrs – sich heute selbst das Recht nimmt, öffentlich zum 1. Mai aufzurufen, an die Bedeutung der Gewerkschaften in diesen Zeiten des Sozialabbaus und steigender Rechtsentwicklung zu erinnern. Eine schicke Parole in hippem layout – ausschließlich digital ersetzt nicht die gemeinsame Mahnung vor Ort.

Aus dieser Erfahrung hatten nach der Befreiung von Faschismus 1945 so gut wie alle Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen Lehren gezogen. Heute erleben wir in fast allen Ländern die Gewerkschaften als Mitstreiter im gesellschaftlichen Kampf gegen die wieder aufkommende Gefahr des Faschismus, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

In Italien, Ungarn, Großbritannien setzen sich Gewerkschaften für Demokratie und die antifaschistische Entwicklung ihrer Länder ein.

Wir vergessen auch nicht, dass die Freiheit der Gewerkschaften in zahlreichen Ländern, wie z.B. in der Türkei, politisch eingeschränkt wird. Solche Verbote und Verfolgungen sind deutliche Anzeichen für autoritäre und tendenziell faschistische Formen der Machtausübung. Die VVN-BdA ist deshalb solidarisch gegen jegliche Form der Einschränkung gewerkschaftlicher Tätigkeit und kritisiert demgegenüber, wenn sich die Gewerkschaftsspitze ausgerechnet am 1.Mai – selbst mundtot macht – und uns im Regen stehen lassen will!

Wir wünschen uns in unserem Land und in unserer Stadt wieder mehr Bewegung auf der Straße!

Ausschließlich digital halten wir weder den Sozialabbau noch die Neofaschisten auf.

Mechthild Hartung. Foto: A. Hartung

Solidaritätserklärung von etwa 40 Teilnehmer*innen der 1- Mai Kundgebung aus Wolfsburg

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir sind solidarisch mit eurem Kampf um die gleiche Bezahlung in Ost und West. Diese Forderung ist nunmehr 30 Jahre alt und es ist für uns unverständlich, warum immer noch die gleiche Arbeit in einem einzigen Land unterschiedlich entlohnt wird. Ihr arbeitet immer noch 3 Stunden länger als wir Kolleg*innen in Westdeutschland, und auch in der Rente seid ihr benachteiligt. Euer Kampf ist auch angesichts steigender Armut und sozialer Not mehr als gerechtfertigt. Wir verurteilen die Kriminalisierungsversuche der Unternehmerverbände euch gegenüber. Wir fordern die Unternehmerverbände in Berlin, Brandenburg und Sachsen auf, sich endlich zu bewegen.

Gemeinsam sind wir stark. In Wolfsburg arbeiten viele Kollegen aus Sachsen – Anhalt und Sachsen, die sich solidarisch mit euch verbunden fühlen. Wir brauchen die Arbeitereinheit in Ost und West und den Einsatz der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft für die Angleichung der Löhne in Ostdeutschland. Da ist noch Luft nach oben – dann sollen die Unternehmerverbände dieses Mal lernen, was passiert, wenn sie sich mit den Belegschaften von Metall und Elektro anlegen.

Solidarische Grüße

Foto: M. Hartung