Organisationen und Netzwerke statt „Einzeltäter“

20. Februar 2021

Zur Erinnerung an das Massaker in Hanau vor einem Jahr, bei dem 9 Menschen ‚mit Migrationshintergrund‘ vor und in einer Shisha-Bar ermordet wurden, hatten die SJD Die Falken, Gruppe Wolfsburg, zu einer Demonstration und Kundgebung eingeladen. Ca 40 überwiegend junge Antifaschistinnen und Antifaschisten, darunter auch Mitglieder der VVN-BdA Wolfsburg, versammelten sich dazu vor dem Wolfsburger Hauptbahnhof (siehe Bild).

Nach einem Auftakt-Redebeitrag der Falken, bei dem die Namen der Getöteten verlesen wurden, zog die kleine Demonstration hinter einem Frontbanner mit den Gesichtern und Namen der Opfer zum Rathaus. Bei der Abschlusskundgebung auf der Rathaustreppe kamen mehrere unterstützende Organisationen zu Wort, darunter Verdi und die Jusos Wolfsburg.

Auch die VVN-BdA Wolfsburg war vom Veranstalter um einen Beitrag gebeten worden. Dieser wurde von Mecki Hartung, Landessprecherin der VVN-BdA Niedersachsen, und Bastian Zimmermann, VVN-BdA-Mitglied und OB-Kandidat für die Wahl im September, gemeinsam vorgetragen. Im Widerspruch zur These vom „verrückten Einzeltäter“ betonten sie den rassistischen Kontext, in dem diese Bluttat gesehen werden muss. Das bekräftigte Mecki Hartung zusätzlich durch die Verlesung eines kurzen Beitrages, den die Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Esther Bejarano, mit Bezug auf das Hanau-Massaker formuliert hatte. Die Ansprache von Mecki und Bastian kann unten gelesen werden.

Mit einer Rede des Landesvorsitzenden der Falken aus Göttingen, der allen Anwesenden für ihr Engagement und der Wolfsburger Falkengruppe für diese Veranstaltung dankte, ging die Gedenkveranstaltung mit einer Schweigeminute zu Ehren der Getöteten in Wolfsburg zu Ende.

Rede von Mecki Hartung, Landessprecherin der VVN-BdA Niedersachsen

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sprechen im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten – VVN-BdA. Wir beklagen heute ein neofaschistisches Massenverbrechen! In Hanau ermordete der 42-jährige Tobias Rathjen 9 Menschen in und vor 2 Shisha-Bars in der Innenstadt. Der Täter hatte seine extrem rechte Gesinnung wenige Tage zuvor in einem Bekenner-Video auf „youtu.be“ deutlich gemacht, wo er sich in einer „persönlichen Botschaft an alle Amerikaner“ gewandt hatte.
Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei ein Bekennerschreiben, das von extrem rechten Ansichten geprägt ist. So behauptete er unter anderem, dass bestimmte Völker vernichtet werden müssten, deren Ausweisung aus Deutschland nicht mehr zu schaffen sei.

Das war innerhalb von wenigen Monaten nach dem Anschlag von Halle/S. auf eine Synagoge, die mit dem Mord an einer Passantin und einem Besucher einer Dönerbude endete, die zweite Gewalttat mit neofaschistischem Hintergrund. Es verstärkt sich ein politisches Klima des Hasses und der Gewaltbereitschaft, was durch politische Kräfte nicht nur in den Medien, sondern auch in den politischen Kampagnen der AfD massiv gefördert wird.
Jetzt wird wieder von einem „Einzeltäter“ gesprochen, weil der Täter nicht Mitglied oder Aktivist einer neofaschistischen Organisation war. Das verdrängt, dass es die neofaschistischen Organisationen und Netzwerke sind, die den Boden für solche Formen individueller Gewalt bereiten.
Die Mordtat von Hanau zeigt: wir brauchen ein antifaschistisches politisches Klima in diesem Land, so dass Rassisten keinen Nährboden für ihre Gewaltvorstellungen finden. Nur so sind solche Massenverbrechen wirksam zu verhindern. Wir wollen als VVN-BdA ein deutliches Zeichen setzen: Rassistische Gewalt darf keinen Platz in dieser Gesellschaft haben!

Wir sind bestürzt über diese Bluttat und trauern mit den Angehörigen. Gleichzeitig teilen wir in vollem Umfang ihre Anklage gegen Polizei, Geheimdienst, Justiz und Politik. Wir fordern restlose Aufklärung!

Die 96-jährige Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende und Mitglied unseres Ehrenpräsidiums, sagt in ihrer Botschaft anlässlich des heutigen Tages:
„Diese menschenverachtende Ideologie hat auch Menschen meiner Familie getötet. Es ist grausam zu sehen, wie Rassistinnen und Rassisten wieder – oder besser – immer noch – morden und zerstören. Behörden relativieren und Medien spielen die Gefahr rassistischer Netzwerke runter. Schlimmer noch: einige Beamtinnen und Beamte sind Teile dieser Netzwerke. Betroffene werden stigmatisiert und kriminalisiert. Aber: WIR werden dagegen aufstehen. Denn: Würdiges Gedenken heißt KÄMPFEN!“

Das tun wir heute Abend. Vielen Dank.