300 waren beim Ostermarsch auf der Straße
22. April 2022
Nach zweijähriger, coronabedingter Pause hat mit ca 300 Teilnehmer*innen in Wolfsburg wieder ein Ostermarsch stattgefunden, zu dem der DGB-Stadtverband und die VVN-BdA Wolfsburg gemeinsam aufgerufen hatten (Foto).
Unten kann die Rede nachgelesen werden, die die VVN-BdA-Landessprecherin Mechthild Hartung auf dem Sara-Frenkel-Platz hielt. Der Platz trägt ein Denkmal für die Zwangsarbeiter*innen in der damaligen „KdF-Stadt“. Er ist nach einer polnischen Jüdin benannt, die sich unter falscher Identität unerkannt besonders für die Babys und Kleinkinder der Zwangsarbeiterinnen eingesetzt hat. Mehr als 350 von ihnen sind in dem sog. „Säuglings- und Kinderpflegeheim“ des Volkswagenwerkes jämmerlich umgekommen.
Rede der VVN-BdA-Landessprecherin Mechthild Hartung
Sehr verehrte, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
es ist schön, dass ich als VVN-BdA-Vertreterin am Sara-Frenkel-Platz sprechen kann, denn Sara Frenkel war im Faschismus mit falscher Identität als polnische Jüdin in die Höhle des Löwen, in die damalige „Stadt des KdF-Wagens“, geflohen. Sie hatte sich als ‚Krankenschwester‘ besonders um die Babys der Zwangsarbeiterinnen aufopfernd gekümmert. Vielleicht auch um Juri, von dem wir gleich mehr hören werden. In diesem Jahr wird Sara Frenkel 100 Jahre alt!
Ich freue mich, Euch ein besonderes Grußwort verlesen zu können. Es stammt von Juri Vasyunets, einem der drei Überlebenden, den viele von Euch noch von 8. Mai-Gedenkveranstaltungen kennen.
„Liebe Freunde in Wolfsburg,
ich spreche aus der Ukraine zu Euch. Meine Eltern wurden nach Nazi-Deutschland in das Dorf Barwedel deportiert und ich wurde am 6.Juni 1943 in einer Art Krankenhaus in einer Baracke in der „Stadt des KdF-Wagens“ geboren. Dieses Jahr werde ich 79 Jahre alt. Nur einen Monat nach meiner Geburt wurde ich meinen Eltern gewaltsam weggenommen und zu dem sog. „Säuglings -und Kinderpflegheim“ Rühen verschleppt. Die Bedingungen dort waren so schlecht, dass mehr als 350 Babys starben. Nur drei überlebten – ich war eins davon.
Ich hatte das Glück eine Familie gründen zu können und möchte Ihnen von dem Dorf aus, in dem ich heute wohne, sagen: Krieg ist niemals eine Lösung! Krieg zerstört das Leben und die Zukunft von so vielen Menschen, die nichts anderes wollen, als in Frieden zu leben, zu arbeiten und sich zu entwickeln.
Das Geld für Waffen sollte für Schulen, Krankenhäuser, Parks, Jugendherbergen und internationalen Austausch der Jugend verwendet werden, damit das internationale Verständnis wächst anstelle von nationaler Blindheit.“
Dem kann ich mich nur aus vollem Herzen anschließen!
Dieser völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist in jeder Hinsicht eine Katastrophe: politisch, ökonomisch, ökologisch und humanitär. Er verursacht unerträgliches Leid vor allem für die Zivilbevölkerung, die Unwiderbringliches verliert – vielleicht eine Mutter, ein Kind -, – einen Vater -, vielleicht eine Wohnung, deren Wände von glücklichen Stunden erzählen könnten – vielleicht sorgsam bewahrte Kinderzeichnungen oder Fotos…
Mit Brecht sage ich:
Häuser sollen nicht brennen!
Bomber sollt man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein!
Leben soll keine Straf‘ sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner soll müssen töten einen.
…
(Bitten der Kinder, 1951)
Schon immer wurden für die Rüstung Milliarden verschwendet, die im sozialen Bereich fehlen. Nun soll die Hochrüstung unter Ausnützen des Angriffskriegs Russlands vervielfacht und sogar im Grundgesetz festgeschrieben werden! Wir sagen dazu NEIN!
Im Appell „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“, der kürzlich von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Friedensforscher*innen verabschiedet wurde, heißt es sehr richtig dazu:
„Wir sind konfrontiert mit Krieg und unendlichem Leid, mit Flucht, mit Armut und sozialer Unsicherheit, -wir sind konfrontiert mit einer globalen Pandemie, die aufgezeigt hat, wie sehr unsere Gesundheitssysteme auf Kante genäht sind, … und mit einer Klimakatastrophe, die genauso wenig vor Staatsgrenzen Halt macht und immense Investitionen in Zukunftstechnologien und soziale Abfederung erforderlich macht. Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten!“
Dem stimme ich voll zu und ich bin deshalb sehr enttäuscht, dass im zuletzt verabschiedeten DGB-Beschluss die gigantischen Rüstungsprojekte nicht mehr, wie zuvor, infrage gestellt werden.
Begrüßenswert ist, wenn unser Oberbürgermeister am Tag des „Mayors for Peace“ – ich freue mich, dass wir dazu gehören – die Fahne hochzieht und einige Worte dazu sagt. Was aber ist mit den Bundesabgeordneten aus unserer Stadt? Werden sie im Bundestag für das 100-Milliarden-Paket und für die jährliche Erhöhung der Rüstungsausgaben auf über 2% des Bruttoinlandsproduktes stimmen? Wir geben ihnen von diesem Ostermarsch mit: Nicht in unserem Namen!
Vor vierzig Jahren, mitten im Kalten Krieg, wurde der sogenannte „Palme-Bericht“ veröffentlicht. Er zielte darauf ab, durch das entspannungspolitische Konzept der gemeinsamen Sicherheit zur Überwindung des Ost-West-Konflikts beizutragen. In dem Bericht wurde dieses Anliegen knapp und bündig auf den Punkt gebracht: „Der Frieden in der Welt muss sich auf ein Engagement für das gemeinsame Überleben statt auf die Drohung durch gegenseitige Auslöschung gründen.“ Die Kernbotschaft hat nichts an Relevanz verloren.
Das sukzessive Vorrücken der Nato Richtung Osten – entgegen dem Versprechen z.B. Genschers – sowie die ständige Erhöhung der Rüstungsausgaben sind das Gegenteil von „Engagement für das gemeinsame Überleben“.
Dieser Krieg hätte verhindert werden können!
Für mich bleibt es dabei:
Die Waffen nieder!
Stoppt den Krieg in der Ukraine!
Stoppt das 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungsprogramm!
Zum Schluss möchte ich Euch einen besonderen Mandelblütenzweig zeigen: Er ist einerseits Zeichen des mörderischen Krieges der USA gegen das kleine Vietnam, der genauso desaströs endete, wie der Krieg gegen das kleine Land Afghanistan. Und er ist Zeichen der Hoffnung. Dieser Mandelzweig wurde von vietnamesischen Kindern, die mit schwersten Einschränkungen leben müssen, hergestellt. Ihre Mütter waren durch das Nervengift Agent Orange vergiftet worden. In einem Reha-Zentrum lernten die Kinder u.a. die Herstellung solcher Seidenpapierblumen. Welch schönes Bild dafür, dass auch nach einem brutalen Krieg Zukunft möglich ist.
Ich danke Euch!