8. Mai in Wolfsburg: Letzter Überlebender des VW-Lagers anwesend
22. Mai 2024
Der Tag der Befreiung vom Faschismus ist in Wolfsburg wieder mit einer würdigen Veranstaltung auf der Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus in der Werderstraße begangen worden – siehe Foto.
Ein besonderer Ehrengast war Juri Vasunets, der letzte von drei Überlebenden des sog. VW-Kinderheimes in Rühen (wolfsburg.vvn-bda.de/2013/11/12/zum-sterben-geboren-im-lager-ruhen-das-lager-das-zum-sterbelager-wurde/). Juri war auf Einladung des städtischen Instituts für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation, des Vereins Erinnerung und Zukunft und der VVN-BdA aus der Ukraine nach Wolfsburg gekommen. Die Rede von Juri auf der Gedenkveranstaltung kann unten gelesen werden.
Neben dem Grußwort des OB Weilmann und der Rede der Stadträtin Iris Bothe beeindruckte besonders der Beitrag von Schülerinnen und Schülern des Phoenix Gymnasiums, die sich intensiv mit der Geschichte des sog. Kinderheimes des Volkswagenwerkes beschäftigt hatten. In einer szenischen Lesung aus den Prozessprotokollen gegen den VW-Werksarzt Dr. Körbel (1946)* charakterisierten sie eindrucksvoll das NS-Verbrechen an den Säuglingen und Kleinkindern. Eine sehr besondere Idee!
Der IG Metall-Chor Gegenwind begleitete die Gedenkveranstaltung vor gut 100 TeilnehmerInnen mit antifaschistischen Liedern.
Juri Vasunets besuchte am Folgetag die originale Stätte seiner frühen Kindheit, das sog. Kinderheim des Volkswagenwerkes. Dort berichtete Mechthild Hartung, die Wolfburger VVN-BdA-Vorsitzende, von den Schwierigkeiten, aber auch vom Erfolg der Aufstellung der Mahn– und Gedenktafel am authentischen Ort des Lagers – siehe Foto. „Weil vom Lager selbst nichts mehr erhalten blieb, ist es besonders wichtig, dass diese Mahn– und Gedenktafel auf den Ort des Naziverbrechens hinweist. So wird deutlich, dass die NS-Verbrechen nicht nur weit weg, sondern auch mitten im Alltag der Deutschen stattfanden“, so Mechthild Hartung. „Deshalb wird die VVN-BdA nicht nachlassen, für den Erhalt und die Pflege der Gedenkstätten zu arbeiten. Gerade gegen die Zunahme von Rassismus in unserem Land und in ganz Europa können diese Gedenkstätten ein wichtiges Hilfsmittel sein“. Text: Alfred Hartung
*Körbel war 1946 in Helmstedt zum Tode verurteilt und in Hameln hingerichtet worden.
Rede Juri Vasunets
Liebe Anwesende,
ich danke der Stadt Wolfsburg für die Einladung. Ich freue mich sehr, dass ich ein Grußwort an Sie richten kann. Meine Eltern wurden aus der Ukraine nach Nazi-Deutschland in das Dorf Barwedel deportiert. Dort arbeiteten sie beim Bauern Dürheide als Zwangsarbeiter. Sie wurden dort gut behandelt. Nach dem Krieg entwickelte sich eine Freundschaft zur Familie Dürheide, die noch heute besteht.
Ich kam am 6. Juni 1943 in einer Art Krankenhaus – es war eine Baracke – in der „Stadt des KdF-Wagens“, auf die Welt. Nur einen Monat nach meiner Geburt wurde ich meinen Eltern gewaltsam weggenommen und zu dem sog. „Säuglings -und Kinderpflegeheim“ am Rand von Rühen verschleppt. Die Bedingungen dort waren so schlecht, dass mehr als 350 Babys starben. Nur drei überlebten – ich war eins davon.
So stehe ich heute mit fast 81 Jahren vor Ihnen. Ich hatte das Glück eine Familie gründen zu können: Ich habe eine Frau, zwei Töchter, drei Enkel und einen Urenkel (eine Urenkelin?). Ich habe niemals gedacht, dass ich einmal einen Krieg erleben muss und deswegen Angst um unser Leben haben muss.
Wir leben im Westen der Ukraine, in Lviv. Wenn es Alarm gibt, gehen wir in den Keller. Dort ist alles vorbereitet mit Wasser, Decken, Stühlen.
Ich möchte Ihnen sagen: Krieg ist niemals eine Lösung. Krieg zerstört das Leben und die Zukunft von so vielen Menschen, die nichts anderes wollen, als in Frieden zu leben, zu arbeiten und sich zu entwickeln.
Das Geld für Waffen sollte für Schulen, Krankenhäuser, Parks, Jugendherbergen und internationalen Austausch der Jugend verwendet werden, damit das internationale Verständnis wächst anstelle von nationaler Blindheit.
Ich danke Ihnen und wünsche der Welt Frieden!